Wo ist Zuhause? Wenn man ein Jahr auf Reisen ist meistens da, wo sich das Wifi automatisch verbindet. Aber manchmal, zwischen schäbigen Hotelzimmern in denen man nach dem Duschen dreckiger ist als vorher und Schlafsälen voller betrunkener Australier, findet man ein richtiges Zuhause. Eins in das man abends gerne zurückkehrt. Wir waren eine Woche zuhause in Tokyo, zusammen mit 37 Millionen anderen Menschen in der größten Metropolregion der Welt und mit zwei guten Freunden auf 45qm² Wohnfläche.
Tokyo ist anders. Und nicht nur weil die Menschen auf der Rolltreppe LINKS stehen und RECHTS gehen (Und es ist Ihnen sehr ernst damit, ich weiß wovon ich spreche. Noch keine fünf Minuten im Land und schon den ersten kapitalen Fehler begangen. Aber komm schon links stehen, ernsthaft???). Die pure Größe der Stadt ist kaum fassbar, man kann es erahnen wenn man nachts auf einem der sehr hohen Gebäude steht und bis zum Horizont nur Lichter und kein Ende sieht. Oder man vom Flughafen bis ins Zentrum 2,5 Stunden mit dem Zug fährt, den größten Teil davon IN der Stadt. Das hat etwas überwältigendes. Ein Übermaß an Stadt, Menschen, Dingen die man nicht versteht (Fahrpläne, Speisekarten, wie schalte ich den beheizten Toilettensitz ein, usw.).
Wir sind froh über lokale Unterstützung unserer deutsch-japanischen Gastgeber Caro & Jun und lassen uns gerne erst mal an die Hand nehmen, inklusive Crashkurs in Umgangsformen und Sprache, aber vor allem: die Einführung in eine uns bisher weitgehend unbekannte, manchmal verstörende aber meistens äußerst faszinierende Welt. Nein, nicht Manga Porn, es geht um Essen. Die kulinarische Vielfalt jenseits von Sushi und diesem Kugelfisch (viel zu teuer und außerdem sterben pro Jahr gerade mal fünf Menschen, statistisch gesehen ist das weit hinter Pilzen oder Erdnüssen, wo ist denn da der Thrill?) ist beeindruckend. Wenn man unsere Woche in Tokyo mit einem Wort zusammenfassen müsste wäre das definitiv „Essen“ (gefolgt von „Bier“ und „U-Bahn fahren“).
So beginnt ein typischer Tag mit einem gemeinsamen „deutschen“ Frühstück mit unseren Gastgebern. Es gibt Toast mit Philadelphia und Schinken, dazu Kaffee und O-Saft. Sobald die zwei zur Arbeit müssen legen wir uns meistens nochmal hin (die Nacht war kurz). Bevor wir aufbrechen die Stadt zu erkunden gibt es traditionell ein schnelles zweites Frühstück vom Lawson Supermarkt an der Ecke, Chocolat-Croissant und ein Kagome Obst/Gemüse-Saft. Zum Mittagessen gibt es eine Ramen-Suppe, die man sich vor dem Lokal am Touch-Screen bestellt und bezahlt bevor man reingeht. Alternativ gibt es frisches Sushi auf dem größten Fischmarkt der Welt. Wir könnten auch einfach dreimal am Tag hier Sushi essen, aber das lässt unser Budget nicht zu. Leider ist es äußerst unwahrscheinlich, dass wir jemals wieder woanders Sushi essen können… Nach einem langen Tag in der City erholen wir uns „daheim“ auf dem Balkon mit ein zwei (drei) Asahi-Bierchen, bevor es wieder auf kulinarische Entdeckungstour geht. Okonomiyaki, Shabu-Shabu, Isakaya, Tempura-Udon, die Speisen sind geschmacklich so vielfältig wie sie klingen und jede Spezialität ist eine neue Offenbarung. Essen wird hier zelebriert, am liebsten in großen Mengen und in Gesellschaft, dazu gibts immer reichlich Bier. Japaner lieben Essen und wir lieben Japan, jetzt schon.
Aber wir haben nur eine Woche Zeit und es gibt soviel zu tun: Wie Scarlett Johansson in Lost in Translation an der berühmten Shibuya-Kreuzung stehen und stundenlang dem wuseligen Wechselspiel zwischen Mennschen und Autos zusehen. Betrunken Karaoke singen (wie Bill Murray in Lost in Translation). Mit der Fähre auf die Insel Odaiba fahren, im Gras liegen, Bier trinken und auf die Skyline der Stadt schauen. Im Manga/Anime/Computerspiel-Himmel Akihabara sich so fühlen wie Manga/Anime-Fans überall sonst auf der Welt: extrem fehl am Platz. Mit vielen nackten Japanern in einem traditionellen Onsen (Mineralbad, das aus heißen Quellen gespeist wird) baden, Männer und Frauen natürlich getrennt. Feiern bis in die Morgenstunden in der Madness-Meile Roppongi (und am nächsten Tag völlig verkatert auf einer Kinder-Halloween-Party erscheinen).
Vor allem aber mit Freunden Bier trinken und dabei über das Leben und die Menschen hier und dort diskutieren, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Ängste und Pläne. Und wenn man von ein paar Eigenheiten absieht (Sternzeichen sind hier egal, viel wichtiger bei der Partnerwahl ist die passende Blutgruppe. Nur deshalb weiß auch jeder Japaner seine Blutgruppe auswendig) stellt man fest, so anders wie man zuerst vielleicht denkt, ist Tokyo gar nicht. Überaus wehmütig verlassen wir nach einer Woche die Stadt, die kurzzeitig eine Heimat in der Fremde war. Wir sollten unbedingt mal wieder Lost in Translation schauen.
Rumkommen
Der U-Bahnplan von Tokyo sieht aus wie ein abstraktes Gemälde, aber man kommt mit Metro und U-Bahn überall gut hin. Allerdings sollte man die Entfernungen nicht unterschätzen. Unbedingt auch mal Taxifahren, die Türen schließen sich automatisch und die Fahrer tragen weiße Handschuhe.
To do
Onsen
Onsen sind japanische Bäder, die von heißen Quellen gespeist werden. In der Regel wird textilfrei gebadet, es herrscht Geschlechtertrennung. Tattoos sind in den meisten Bädern verboten, man kann sie aber überkleben. Als sehr traditionelles Bad sind die Maenohara Onsen (3-41-1 Maenocho, Itabashi, wochentags 830 Yen, am Wochenende 1030 Yen) im Norden Tokyos zu empfehlen. Nach dem Baden unbedingt noch im Teehaus mit Blick auf den traditionellen Garten einkehren.
Tsukiji Fischmarkt
Derzeit noch unter folgender Adresse zu finden: 5 Chome-2-1 Tsukiji, Chuo, Tokyo. Ein Umzug ist aber für 2016 geplant. Morgens um 5 Uhr kann man den Fischauktionen beiwohnen. Aber auch tagsüber lohnt sich ein Besuch des Viertels um den Fischmarkt, man kann fangfrisches Sushi essen und durch die Gassen schlendern.
Tagestrip nach Odaiba
Die vorgelagerte (künstliche) Insel ist beliebt für Wochenendausflüge. Ein schöner Trip ist eine Bootsfahrt vom Hama Rikyu Garden (Eintritt 300 Yen, schöne Parkanlage, traditionelles Teehaus) Dabei passiert man die berühmte Rainbow Bridge. Auf Odaiba wird Wassersport angeboten, man kann aber auch einfach schön spazieren gehen. Auf dem Rückweg in die Stadt mit dem fahrerlosen Hochgeschwindigkeitszug Bullettrain fahren.
Feiern
Roppongi ist das berüchtigte Ausgehviertel von Tokyo, hier sind unter anderem auch viele Expats unterwegs. Einige Clubs kosten keinen Eintritt. Der derzeit angesagteste Laden ist das „Jumanji 55“.
Karaoke
Rund um die Shibuya Station befinden sich unzählige Karaokebars, die man stundenweise mieten kann.
Essen
Okonomiyaki: Hierbei handelt es sich um eine Ei-Kohlmischung, die man selber anrührt und auf einer heissen Platte brät. In der Regel enthält das Ganze noch Meeresfrüchte oder Fleisch und wird auch die japanische Pizza genannt. In der Monja Street reiht sich ein Okonomiyaki Restaurant an das Nächste.
Ramen: leckere Nudelsuppen, empfehlenswert „Afuri“ (1-23 Kaminmeguro, Meguro).
Unterkommen
Danke an unsere lieben Gastgeber Caro und Jun für eine außergewöhnliche Woche!
Tip
Bester Fotospot für die berühmte Shibuya Station ist die Starbucksfililale. Beste Uhrzeit: ab ca. 17:30 Uhr, Rush hour, die Kreuzung ist dann gut besucht oder am Wochenende abends.